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10. August 2007

Eusebio, Feuer einstellen!

Antonio Lobo Antunes war während des Kolonialkrieges in Angola Militärarzt, danach arbeitete er als Psychiater in einer Nervenklinik. Heute ist der 64-jährige Portugiese einer der erfolgreichsten Schriftsteller des Landes und seit Jahren Anwärter auf den Literaturnobelpreis. Neben Stockfisch und Figo haben die Portugiesen auch Literaten exportiert.
Den Durchbruch schaffte Antunes vor fast dreissig Jahren mit dem Roman Der Judaskuss. Zuletzt gelesen von ihm habe ich Portugals strahlende Grösse und Das Handbuch der Inquisitoren.
Ich bin mit einer Portugiesin verheiratet, meine Schwiegermutter ist Angolanerin. Antunes ist sozusagen Pflichtlektüre zu Hause. Er gehört zu den düsteren Gesellen seiner Zunft. Seine Zeit als Offizier in Angola Angola_2prägen seine sprachlich barocken, inhaltlich schonungslos gesellschaftskritischen Werke. Gewalt, Verzweiflung, Tod - Antunes hat das Lachen scheinbar nie gelernt. Oder vor langer Zeit verloren.
In einem ausserordentlichen Interview mit dem Mailänder Corriere della Sera von gestern bestätigte Antunes, was viele wussten, zumindest alle vermuteten. "Ja, auch ich habe während meiner Zeit in Angola geschossen und getötet. Gefangene habe ich keine gemacht."
Zwischen 1970 und 1973 war er in Angola im Einsatz, in seinem Battalion von 600 Soldaten kamen 150 um, das ist Viertel der Truppe. Die Todesrate sei bei den angolanischen Guerilleros mindestens so hoch gewesen, vermutet Antunes. Der angolanische Schriftsteller Pepetela, heute ein Freund von ihm, kämpfte damals an der Seite seines Feindes. "Es gab ein Punktesystem", erinnert sich Antunes. "Das Gewehr eines Guerilleros war so und soviele Punkte wert, die Gefangennahme des Guerilleros gab weitere Punkte, die höchsten Punkteprämien gab es für einen toten Guerillero. Wer eine gewisse Anzahl Punkte erreicht hatte, konnte frühzeitig zurück nach Portugal. Wir wollten alle möglichst schnell zurück."
Einmal die Woche gab es einen nicht deklarierten, aber eisern eingehaltenen Waffenstillstand, erinnert sich der ehemalige Leutnant Antunes. "Wenn Benfica spielte, wurde auf beiden Seiten das Feuer eingestellt. Eusebio war der grosse Held in beiden Lagern."
EusebioEusebio da Silva Ferreira, geboren 1942 in Mosambik, heute Funktionär im portugiesischen Fussballverband und Berater von Benfica, war der erste Weltstar, der von einer portugiesischen Kolonie stammt, vom afrikanischen Kontinent überhaupt.
"Wenn das Spiel von Benfica am Radio übertragen wurde, drehten wir die Lautsprecher in unserem Camp auf, damit sie's auch im Dschungel hörten. Wir wussten: 90 Minuten Ruhe, plus eventuell Verlängerung und Penaltyschiessen."
Eusebio, auch als Schwarze Perle oder Schwarzer Panther in den Sportlexika zu finden, gewann mit Benfica zehn Meisterschaften, fünf Landespokale und, 1962, den Europapokal gegen Real Madrid (heute Champions League). Er war mehrfacher Torschützenkönig in Portugal und mit 42 Toren, 1968, respektive 40 Toren, 1973, zweimal bester Torschütze aller europäischen Profiligen. In insgesamt 365 Spielen für Benfica schoss er 383 Tore. (Bitte rechnen!)
Eine seiner beeindruckendsten Vorstellungen zeigte er vermutlich aber im Nationalteam (64 Spiele/41 Tore). An der WM 1966 in England, im Spiel gegen die Nordkoreaner, die zuvor Favorit Italien besiegt und aus dem Turnier geschmissen hatten, lagen die Portugiesen 0:3 zurück. Resignation machte sich breit, bis Eusebio, wie man in der Fachsprache sagt, den Turbo zündete. Unerreichbar schnell, wendig, trickreich, elegant, kraftvoll schoss er vier Tore selbst, das fünfte zum Endstand von 5:3 bereitete er vor. Am Schluss beendete Portugal die WM zwar nur auf Platz drei, Eusebio aber wurde mit neun Treffern Torschützenkönig. 1974, ein Jahr, nachdem Offizier Antonio Lobo Antunes genug Punkte gesammelt hatte, um wieder nach Portugal zurückzukehren, beendete er nach einer schweren Knieverletzung mit 32 Jahren seine Karriere.
Ja, der Fussball kann - um es pathetisch auszudrücken - Wunder bewirken. 90 Minuten Pause in der Hölle ändern nichts daran, dass man in der Hölle bleibt. "Dennoch waren wir alle - hüben wie drüben - um diese 90 Minuten, die uns Eusebio schenkte, dankbar", sagt Antunes.
Wieviele Minuten es wohl gewesen wären, wenn ein Streller gespielt hätte?

August 10, 2007, 01:30 vorm.
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Kommentare

now I'll stay tuned..

Kommentiert von: Chicas Lindas Mexicanas | 04.07.2009 04:38:03

gute idee am schluss noch auf streller zu verweisen! - als referenz - danke.
+ hat mich inspiriert ein buch von Antonio Lobo Antunes zu lesen.

Kommentiert von: hansjoggeli | 13.08.2007 15:57:17

Ich find den letzten Satz, wie der Blog sehr gelungen. Wir sollten im Fussball die Dinge nicht schönreden, weil es so besser tönt. Oder alle zufrieden sind. Tja Strelli hat uns zur WM geschossen und von dort wieder heim (ver-)schossen. Wird in Berlin jetzt eigentlich der FCZ neu gegründet? In Köln mit GC ging das ja seinerzeit völlig in die Hosen...

Kommentiert von: Travis | 11.08.2007 17:08:52

nun ja, der letzte satz von wdg erreicht immerhin, dass einige von uns einen kommentar verfassen. letztlich zeichnet der beitrag von hoher intellektueller güte, oder ;-) - nicht unbedingt sicher, dass da einträge dazu verfasst werden (hihi).

zudem ... warum soll der spruch in die hosen sein? er wird wohl die aufgabe haben, die stimmung unter den blog lesern transparent zu machen. diejenigen, die von streller nicht allzu viel halten, erleben die höllenqualen quasi sehr realistisch ... haben mitleid und meinen nun, der spruch sei ohne absicht gesetzt worden ...

a bola è redonda, oder?

Kommentiert von: pitsch | 11.08.2007 12:19:50

Wdg, ich finde Sie genial. Die Geschichten sind auf hohem Niveau, Kompliment. Nur, wie die anderen Leser schon bemerkten, ist der letzte Satz etwas in die Hosen, finde ich auch. Sonst: Kompliment! Weiter so!

Kommentiert von: Urs | 11.08.2007 11:33:50

Ja, finde ich auch, was guliguliver sagt: Gute Geschichte, aber ein Schluss, der ziemlich missraten ist.

Kommentiert von: markus | 11.08.2007 10:54:47

Eine schöne Geschichte, der letzte Satz wär jedoch nicht nötig gewesen. Witze auf solchem Niveau sind unter der Würde der Story und, soweit ich dies beurteilen kann, normalerweise auch unter der Würde von WdG.

Nicht dass ich ein grosser Bewunderer von Streller wäre (dann schon eher von Eusebio, der war leider hauptsächlich vor meiner Zeit). Ich bin ihm gegenüber ziemlich neutral eingestellt: Er hat uns mit seinem Tor in Istanbul an die WM geschossen und mit seinem Penalty in Köln auch wieder nach Hause.

Kommentiert von: Guliguliver | 10.08.2007 15:06:43

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